Mit Abstand betrachtet ...

... erscheint mir die Wüstenreise jetzt nach 1,5 Jahren immer noch genauso faszinierend, bewegend und bedeutend wie gleich nach meiner Rückkehr. Obwohl ich inzwischen weitere wunderschöne Reisen unternommen und andere beeindruckende Landschaften gesehen habe, wird die Sinaireise doch immer etwas besonderes bleiben – und ganz, ganz sicher werde ich dorthin zurückkehren, Inshallah ... ان شاء الله

Wenn ich den Statistiken von blogger.com vertrauen darf, haben im letzten Jahr einige hundert Personen diesen Blog gelesen ... nicht ein einziger Leser hat einen Kommentar hinterlassen ... warum?

Schade eigentlich, es wäre schön zu hören, was andere Wüstenreisende (oder solche, die es werden wollen) zu sagen, fragen, ergänzen, anzumerken hätten ... ihre Erfahrungen vielleicht teilen würden.

Falls Ihr diesen Eintrag also lest, bitte nur keine falsche Scham ... ich freue mich wirklich über jeden Kommentar/Kritik/Gruß von Euch ...

Viel Spaß beim Lesen ... und danke für Eure Zeit ...

Lilli

(Oktober 2008)

Wieder Zuhause

Wie seltsam das Leben doch manchmal ist ... aber trotz allem wunderbar!

Nun bin ich wieder zuhause. Drei Tage habe ich gebraucht, um nach der Krankheit einigermaßen klar zu werden. Der letzte Morgen im Camp, die Fahrt zum Flughafen und die Heimreise – ich habe kaum eine Erinnerung daran. Fieber, Erkältung, Magen- und Kreislaufbeschwerden und der Einfluss der diversen Medikamente haben mich so benebelt, dass ich nur ein vages Bewusstsein des Geschehens habe. Alle haben sich rührend um mich gekümmert und besonders meine liebe Eva hat mich bis zuletzt umsorgt wie eine Mutter. Danke Euch allen auch dafür!

Jetzt ist die Wüstenreise also bereits Vergangenheit, wenn auch sehr lebendige Vergangenheit. Schön war's, und mehr als das. Wieder zuhause erscheint mir alles ein bisschen wie ein Traum ... einer von der Sorte, die unbewusst unser Leben verändern, weil sie uns so sehr berühren, in unserem Innersten. Traumhaft waren die Erlebnisse, wunderschön, innig, voller Liebe, Reinheit und Klarheit. Soviel habe ich mitgenommen aus meiner Zeit in der Wüste und vieles wird mir sicher erst nach und nach bewusst werden. Ja, es war die richtige Entscheidung, diese Wüstenreise zu machen, dieser seltsamen, aus dem Nichts aufgetauchten Sehnsucht nachzugeben. Sie hatte ihre Berechtigung und sicher auch ihre Bewandnis. Nichts geschieht zufällig, und niemand begegnet uns grundlos, daran glaube ich ganz fest – und wünsche meiner "Wüstenfamilie", die mir so sehr ans Herz gewachsen ist, alles Gute, Liebe und frische Energie für den deutschen Alltag, der uns nun wieder hat ...

Countdown ...

Die letzten Stunden vor der Abreise. Wie lang mir die vergangenen Wochen vorkommen, sie erscheinen mir wie Monate, so randvoll mit neuen Eindrücken und Erlebnissen sind sie. Ich fühle, dass ich wirklich krank werde, zusätzlich zu meiner Erkältung kommt noch etwas anderes, ein allgemeines Unwohlsein. Liegts am Essen hier im Camp – zu wenig Gemüse, zuviel Fett? An der Unruhe? Oder kommen da Restbestände an "Seelenmüll" hoch, letzte Altlasten, Ballast, der nicht mit nach Hause will ..?


Wir sitzen alle mehr oder weniger in den Startlöchern, wirkliche Entspannung will nicht mehr aufkommen. Die Stimmung ist gedrückt. Wir vermissen "unsere" Tarabin ... Farag, der meditativ Möhren schnippelt, das Singen und Scherzen der Beduinen, die Ruhe, die Weite, das Lagerfeuer. Alles erscheint mir hier plötzlich so eng und düster. Der Gedanke an Deutschland und die engen Räume – die Wände, die feste Decke über dem Kopf, die vielen Menschen – macht mir Angst, nach der Weite der Wüste, obwohl mir klar ist, dass man sich nur zu schnell auch wieder daran gewöhnen wird. Und das ist wahrscheinlich gut so, denn diese Reise soll mich ja bereichern, ich möchte etwas mitnehmen aus diesen Wochen, mich freuen, dass ich hier sein durfte und nicht traurig sein, dass ich nun gehen muss. Alles ist gut, so wie es ist. Nur körperlich könnte es mir etwas besser gehen, ich fühle mich wirklich ziemlich schwach und elend, um ganz ehrlich zu sein. Es ist gut, dass ich vor lauter Heiserkeit längst keine Stimme mehr habe und Sprechen somit ausscheidet, denn danach fühle ich mich zur Zeit überhaupt nicht. Zu vieles geht mir momentan durch den Kopf.

Jetzt werde ich meine letzten Sachen zusammenpacken, mich auf unser letztes Abendessen, unser letztes Beisammensein und die letzte gemeinsame Meditation vorbereiten. Dann warten unsere Schlafsäcke auf uns und morgen früh kommen die Taxis, die uns zum Flughafen bringen. Countdown, back to Germany ...






(Abschiedsstimmung am Ostersonntag: unseren letzten Abend im Sinai verbringen wir bei Kerzenschein …)

Abschied von der Wüste

So, das war's. Wir haben die Wüste hinter uns gelassen – keine Kamele mehr, keine Beduinen – aber immerhin noch unsere kleine "Restwüstenfamilie", für zwei weitere Tage im Camp, bevor wir den Sinai dann ganz verlassen und jeder für sich wieder die Heimreise nach Deutschland antritt.



Unser letzter Ritt führte uns durch ein Tal, dessen Boden von Sandstein in den wunderschönsten Farben bedeckt war, wie seltene Mosaike in den ungewöhnlichsten Farbkombinationen: Lila mit Gelb, Malvenrosa und Grün, einfach traumhaft. Vor lauter "Aaahs"und "Oooohs" und natürlich unbedingt notwendigen Fotos, kamen Eva und ich kaum von der Stelle. Auch eine Möglichkeit, die Abreise hinauszuzögern ..!


Streckenweise sind wir geritten, es gab jedoch lange Wege, die wir zu Fuß zurücklegen mussten, denn schließlich haben wir uns in den letzten zwei Wochen auf einem Höhenniveau von durchschnittlich 800 - 1100 m bewegt und mussten nun zurück in "flachere Gefilde", um dort vom Jeep abgeholt werden zu können. Mehrmals ging es ziemlich steil nach oben, bevor der Pfad dann endlich bergab führte und diese Strecken zogen sich in der Hitze unendlich hin. Meine Erkältung macht mir ganz schön zu schaffen und zwischendurch dachte ich, ich schaff's nicht mehr. Ich war hochrot im Gesicht, mein Puls war bei "gefühlten 220" und meine Lunge tat weh als würde sie gleich platzen. Eine Stimme habe ich schon seit gestern nicht mehr, kann nur flüstern und krächzen, und das ewige Naselaufen macht das Reiten und Wandern auch nicht gemütlicher. Mein Körper hadert auf seine Weise mit allem.

Irgendwann hatten wir dann den letzten Pass überwunden – ja, selbst ich – und erreichten das Tal, in dem wir abgeholt werden sollten. Die Beduinen errichteten ein letztes, eher provisorisches Lager und bereiteten einen letzten Lunch. Der Wind verhinderte, dass irgendeine Form von Gemütlichkeit aufkam, er blies wirklich unfreundlich, als wolle er uns den Abschied leichter machen. Während wir phlegmatisch auf den Jeep warteten, wurden die Kamele umgesattelt, das Gepäck neu verteilt und auch von Seiten der Beduinen, die ja noch einen langen Kamelritt von mehreren Stunden vor sich hatten, alles für die eigene Heimreise vorbereitet, die wie es aussah, nicht im besten Wetter stattfinden würde.



(Erst lacht sie noch, die Lilli ... doch als sie dann im Jeep sitzt, sieht das Gesicht plötzlich ganz anders aus ..!)

Als der Jeep des Beduinen, der uns abholte, dann endlich eintraf, ging alles total schnell. In kürzester Zeit war unser Gepäck auf dem Dach verstaut und wir saßen nach einer schnellen Abschiedsrunde und großem Händeschütteln in alle Richtungen wahrhaftig im Auto. Wie klein und eng kam einem dieser Innenraum vor, nachdem man so lange keine Wände, kein Dach gesehen hatte. Wie eingepfercht fühlte ich mich. Eva weinte und hörte gar nicht mehr auf, so dass mir auch regelrecht die Tränen kamen. Irgendwie hatte es uns allen die Sprache verschlagen, jetzt wahrhaftig weg zu müssen. Maria hatte uns "vorgewarnt", dass wir es nicht persönlich nehmen dürften, wenn der Abschied kurz und schmerzlos ausfiele, dass es bei den Beduinen, die ja ständig weiterziehen müssen, nicht üblich sei, sich groß zu verabschieden. Man trenne sich oft sogar wortlos und jeder ging seiner Wege, ohne Bedauern, ohne große Emotionen oder Abschiedsfloskeln. Umso erstaunter waren wir, als die Beduinen uns alles andere als wortlos verabschiedeten ... mit großem Trara und lauten Abschiedsrufen ritten sie wie wild gewordene Cowboys, teils auf dem Kamel stehend, hinter dem Jeep her und winkten solange sie konnten. Ahmed weinte sogar. Farag, der mit uns kam, weil er die Verantwortung für uns trug, lachte und war total amüsiert über diesen ungewohnten Anblick seiner Freunde und Familie. Es war schön und machte den Abschied ein bisschen leichter.


(Ein letzter Blick aus dem Jeep – wir verlassen die Wüste ...)

Nach einer langen und recht schweigsamen Fahrt quer durch die Wüste erreichten wir irgendwann Nuweiba. Aber statt des erwarteten Ausblicks auf den Golf, der sich hätte leuchtend Blau vor uns auftun sollen, sahen wir nur eine gelbe Wand. Sand! Es hatte einen Sandsturm gegeben, der gerade abzog, und wir fragten uns, ob er auch "unsere" Beduinen auf ihrem Heimritt erwischt hatte. Welch ein deprimierendes Gefühl war es, wieder die vielen Autos zu sehen, die Checkpoints passieren zu müssen, von den schwer bewaffneten, schwarz gekleideten Militärs kontrolliert zu werden. Überall standen Panzerwagen und uns fiel ein, dass ja Ostern war, und es erst im Jahr vorher einen Anschlag im Sinai gegeben hatte, in Dahab, der Al-Quaida zugeschrieben wurde. Auch in Taba hatte es 2004 ein Bombenattentat gegeben, das vermutlich gegen die Israelis gerichtet war und so wollte man jetzt wohl Vorsorge treffen, da Ferienzeit bei den Israelis ist und sich viele in den Camps hier am Meer aufhalten.

Ja, die Camps ... so begeistert ich vor der Wüste war – aus der Wüste kommend war das Camp ein Kulturschock! Es war ein anderes Camp als das, in dem wir vorher waren, sehr gut besucht und alles andere als ruhig. Soviele Menschen!! Musik und Lärm und Gedränge. In meinem Kopf hat sich alles nur noch gedreht. Nach einer letzten Tasse Tee mit Farag, der in Thob und Tuch gekleidet, seltsam deplatziert unter den vielen Touristen in Badekleidung wirkte, war es dann endgültig vorbei mit dem Wüstenfeeling. Die Welt hat uns zurück.

Es hieß durchatmen, Ohren auf Durchzug stellen und das Gepäck zur Hütte tragen, die uns allen – unabhängig voneinander – viel zu eng vorkommt, um darin zu schlafen. Zu eng, zu niedrig, zu stickig. Der Freiraum der Wüste fehlt uns allen. Und so haben wir nun beschlossen, alle draußen zu schlafen, im Sand, trotz des Windes. Zumindest halten sich dadurch die Mücken in Grenzen, die sonst hier am Meer zur Plage werden können. Mir ist eh alles egal. Ich fühle mich fiebrig, kränklich, müde und überfordert von allem. Ich will einfach nur schlafen, egal wo und wie.

Ma'salama, Et Thi ...


Ein seltsames Gefühl ... zu wissen, dies war das letzte Aufwachen in der Wüste, das letzte Zähneputzen unter freiem Himmel, das letzte Frühstück, die letzte Meditation, das letzte Mal, dass ich mein Gepäck morgens verstaue, auf mein Kamel steige und wir weiterziehen. Seufz ... das alles wird mir so sehr fehlen!

Gepackt habe ich bereits alles, Schlafsack und Isomatte sind verstaut, und jetzt sitze ich hier und nehme mental Abschied von der Wüste Sinai, betrachte das Tal, die Berge, die zahlreichen Fußspuren diverser Tiere und Insekten, die kargen Pflänzchen, den Himmel ... soviele "last looks"! Heute wird alles ein "letzter Blick" sein, auf dem Weg in das Tal, wo uns der Jeep abholen kommt. Jede Wegbiegung, jedes Wadi, jeder Berg, jeder farbige Stein ... ma'salama, Et Thi ... unglaublich.

Die anderen sind genauso melancholisch wie ich. Selbst die Beduinen scheinen bedrückt zu sein, eine komische Stimmung hängt in der Luft, was wohl nicht nur an unserer allgemeinen Traurigkeit liegt, auch das Wetter trägt dazu bei. Die ungewohnt schwüle, drückende Hitze, dazu der heftige, unangenehme Wind und ein milchig bedeckter, graublauer Himmel. Abschiedswetter. Seit unserem ersten Sandsturm betrachte ich diese Art Himmel immer mit Skepsis. Vielleicht gibt es ja doch noch Regen – das wäre doch was, wenn es an unserem letzten Tag noch einen richtigen Wüstenregen gäbe! Wobei, vielleicht wäre das doch nicht so angenehm, wenn wir da mit dem Jeep durchfahren müssen. Hmm, bleiben wir halt hier..!

Aber ich sollte nicht herumträumen und über das Wetter philosophieren, sondern aktiv werden, heute geht es noch früher los als sonst. Schnell tape ich meine beiden "verwundeten" Zehen mit Marias lustigem blauen Wundpflaster, schmeiße mich in meine Schuhe, atme tief durch und stelle mich auf die Abreise ein.

Auf geht's zum allerletzen Wüstenritt …

Nomadenleben


Je näher der Abschied kommt, desto bewusster wird mir, wie sehr ich mich an dieses Leben gewöhnt habe und dass es mir irgendwie fehlen wird. Alles ist mir so vertraut geworden, die täglichen Abläufe haben in ihrer Regelmäßigkeit etwas so friedliches und beruhigendes ... mit der aufsteigenden Sonne aufzuwachen, sich zu den Beduinen ans Feuer zu setzen, dort zu frühstücken und die ewig gleiche Frage nach dem Tee ("... what do you want: Nana, Karkadeh or Bedouin tea ..?") zu beantworten. Der morgendliche Kamelritt – immer so früh wie möglich, um der gleißenden Mittagshitze zu entgehen und den Lagerplatz für die Mittagsrast zeitig zu erreichen.

Die immer gleichen, fast rituellen Arbeitsabläufe der Beduinen zu beobachten: das Absatteln der Kamele (das einem genau festgelegten Prinzip folgt), das Entfachen des Feuers, das Schneiden des Gemüses für die obligatorische Suppe ... alles ist genau durchdacht, geprägt von der lebenslangen Erfahrung der Beduinen in der Wüste: während die einen noch das Gepäck entladen, entzündet ein anderer schon das Feuer. Zeitgleich wird im Schatten der Lagerplatz aus Decken und Kamelsätteln errichtet.


(Das stetige Auf- und Abladen der Kamele gehört zum immergleichen Tagesablauf. Ebenso wie das Brennholz sammeln und auf dem Kamel verstauen ...)

Sobald das Feuer brennt, steht auch schon der Tee in den Flammen, während an wieder anderer Stelle der Teig für das Fladenbrot zubereitet wird. Kocht der Tee, wird er seitlich in die kühlere Glut gezogen, dafür kommt der große Kochtopf aufs Feuer, in dem das Wasser für die Suppe erhitzt wird. Inzwischen ziehen sich die Beduinen zum Waschen und Beten zurück, was immer exakt dem Zeitraum zu entsprechen scheint, den es braucht, bis die einzelnen Zutaten für die Suppe nach und nach in den Kochtopf gegeben werden müssen. Das Brot wird auf einem extra Feuer gebacken, an dem meist zwei Beduinen sitzen, einer der Kugeln aus dem Teig formt und ein anderer, der daraus die Fladenbrote backt. Das alles hat in seiner Gleichförmigkeit trotz aller Aktivität auch etwas sehr Meditatives.




Sobald wir alle versorgt sind und unsere Suppe gegessen haben, ziehen sich die Beduinen zum Schlafen zurück, zumindest einige, zwei bleiben meist bei uns, um das Feuer im Auge zu behalten und beizeiten nach den Kamelen zu sehen. Danach wird erneut gebetet, alles wieder zusammengeräumt, die Kamele werden eingefangen, systematisch bepackt und weiter geht's, durch die endlose Stille der Wüste, bis zum Nachtlager, wo sich das ganze Prozedere 1:1 wiederholt. Allerdings ist abends das Essen meist aufwändiger und die Zubereitung erfordert mehr Vorbereitung und Mithilfe, außerdem müssen die Kamele gefüttert werden und wir alle müssen unsere Nachtlager suchen und vorbereiten, solange es hell ist.




Trotzdem, genau genommen wiederholt sich der oben genannte Ablauf ständig, meist zweimal am Tag, tagein, tagaus. Wüstenalltag, zumindest für uns. Bestimmt sieht ein normaler Beduinenalltag noch einmal anders aus, obwohl er sicher in seinen Grundeigenschaften dem gleichen Prinzip folgen wird: das ewige Be- und Entladen der Kamele, die ständig wechselnden Lagerplätze, das lebensnotwendige Feuer, der traditionelle Tee ... ein Nomadenleben.

Leben ist Liebe – und Hitze ...

Nach einem schon etwas spärlichen Frühstück (die Vorräte schwinden nun langsam dahin), ging es los in Richtung Ain Umm Ahmed, der besagten Oase. Es hängt schon eine etwas melancholische Stimmung in der Luft, alle sind traurig, dass der Abschied naht. Der Weg zu dieser Oase war wirklich seltsam ... quer durch die Plantagen, überall Marihuana, streng bewacht. Es wundert mich, dass wir überhaupt hier hindurch reiten dürfen. Eigentlich wäre es eine superschöne Oase, riesengroß, ein kleines Dorf. Nur leider wird für die berauschenden Pflänzchen das ganze Wasser abgezapft, der Grundwasserspiegel sinkt und lange wird es nicht mehr dauern, bis die natürliche Vegetation verschwunden ist. Viele Palmen wurden wohl auch gefällt. Und überall liegen diese hässlichen Schläuche zur Wasserversorgung, grauenhaft. An einem Tümpel konnten wir uns waschen, und auch wenn das Wasser etwas brackig riecht, tut es gut, die Haare mal vom Tuch zu befreien und durchzuwaschen. Vom ewigen Tücher tragen und plattdrücken habe ich regelrecht Muskelkater in den Haarwurzeln.

Heute ist der absolute Hitzerekordtag. Es ist fast nicht auszuhalten und es wimmelt nur so von Fliegen. Die Kamele haben die Gesichter voll von ihnen und sind entprechend genervt. Die kleinste Bewegung lässt uns heute den Schweiß ausbrechen, das ist auch neu. Das Schwitzen, meine ich. Bisher hat man nur unter dem Rucksack geschwitzt, durch den Druck und das Kunststoffmaterial, aber nicht an der Luft, egal wie heiß es war. Heute ist es anders. Drückend. Der Himmel sieht seltsam aus, gelblich, als gäbe es Sturm. Sandsturm?

Wir liegen hier im Schatten der Palmen, auf unseren Teppichen und Decken, wie die Ölsardinen in der Dose. Keiner bewegt sich. Es ist viel zu anstrengend, bei der Hitze die Fliegen zu verjagen, weshalb die meisten sich die Tücher um die Gesichter gewickelt haben. Allgemeine Lethargie liegt in der Luft.

Die Beduinen spielen schweigend Dame oder etwas ähnliches, mit Steinen und Kamelkötteln. Andauernd spielen sie dieses Spiel und sind dann so vertieft, dass sie alles um sich herum vergessen. Faszinierend. Aber auch daran kann ich nicht lange denken. Zu anstrengend. Zu heiß. Es herrscht Totenstille, bis auf das Summen der Fliegen. Das ist das einzige Geräusch, aber es ist durchdringend. Es surrt und schwirrt wie von hundert Helikoptern. Und die Hitze flirrt und brennt. Das Denken schläft ein. Wir schalten komplett auf Sparflamme. Kein Reden, minimales Atmen, keine überflüssigen Bewegungen ... nur durchhalten, warten, dass es kühler wird. Der Wind bläst noch immer, wie ein Fön. Abkühlung bringt er nicht, höchstens oben auf dem Kamel, aber hier unten auf dem Boden ist nicht daran zu denken. Alle träumen von Wassereis und gekühlten Getränken. Wasser, das mal nicht Körpertemperatur hat, eiskalte Cola, ein kühles Bier ... solche Gelüste hatten wir noch nie, während unserer Zeit in der Wüste. Liegt's an der Hitze oder am nahenden Abschied?

Irgendwann gegen Nachmittag wird es kühler. Endlich. Wir können weiter, nur die Kamele müssen noch getränkt werden, die sind echt am Ende und genau so lethargisch wie wir.

Die Wasserstelle ist mitten im Marihuanafeld und die Beduinen bitten um Erlaubnis, dass wir Halt machen dürfen. Nach einer kurzen Diskussion wird uns Zutritt gewährt, man erlaubt uns sogar etwas herumzulaufen und uns umzuschauen, nur Fotos sind natürlich tabu. Es ist zwar sehr spannend, diese Unmengen an 'Gras' da herumstehen zu sehen, aber wir sind alle zu tranig von der Hitze, um lange darüber nachzudenken oder uns für irgendetwas wirklich zu interessieren, dennoch erinnert die Situation an englische Filme wie 'Grasgeflüster' und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Das Ambiente ist wirklich seltsam, um nicht zu sagen: bizarr. Die karge Wüste, mittendrin dieses saftig grüne 'Gras', die blühenden Schlafmohnfelder, die verschleierten Wächter und Arbeiter (keine Beduinen, meist Fremdarbeiter aus Assuan und vom afrikanischen Festland), und mittendrin wir – mit unseren Kamelen und Beduinen. Wir starren das 'Gras' an, die Arbeiter starren uns an. Sie sind überhaupt keine Touristen gewohnt – anders als die Beduinen – und wir erscheinen ihnen so fremd und exotisch wie nur irgendwas. Das spürt man deutlich. Sie gaffen und kichern und diskutieren über uns. Besonders über uns Frauen. Irgendwie fühlen wir uns mulmig und wollen weiter. Das Wetter wird auch nicht besser. Oben auf dem Kamel kann ich kaum mein Tuch festhalten, so stürmt es. Trotzdem ist es schön, noch einmal eine Strecke zu reiten. Alles hat eine gewisse Melancholie. Soviele 'letzte Blicke'. Abschied liegt in der Luft.

Endlich kommen wir an unserem letzten Schlafplatz an. Ein schöner Platz – viel Sand, ganz weich und weiß, wie Vogelsand. Es sieht heimelig aus und überall gibt es viele kleine "Schlafbuchten", am Fuße des Berges, direkt in diesem schönen Sand. Unsere letzte Nacht verbringen Eva und ich neben Bernd, den die Beduinen mittlerweile 'Sliman' (Kurzform von Suleiman) getauft haben. Said sagt, es bedeutet 'Man of Peace'. Ein schöner Name, der mittlerweile wirklich gut zu ihm passt. Bernd ist viel ruhiger geworden, mit jedem Tag in der Wüste.

Die Beduinen bauen unser letztes Lager. Noch einmal werden die Kamelsattel zu einer kleinen "Festung" aufgebaut, um uns vor dem Wind zu schützen. Trotzdem ist es reichlich ungemütlich, der Wind peitscht andauernd ins Feuer und wir werden regelrecht geräuchert, im Qualm, den man nicht entgehen kann, ganz egal wo man sitzt. Aber irgendwie passts zur allgemeinen Stimmung. Abschiedswetter. So fällt's leichter. Unser letzter Abend am Lagerfeuer. Unser letztes Beduinenmahl. Die letzten Spiele.

Wir spielen ein neues Spiel. Einer beginnt eine Geschichte und der nächste setzt sie fort. Wir auf englisch, die Beduinen auf arabisch. Farag übersetzt in beide Richtungen und übernimmt dabei sämtliche Details, Tonlagen und Ausschmückungen, die der jeweilige Erzähler von sich gibt, was die Sache wirklich lustig macht. Der arme Kerl hat gut zu tun, denn die Beduinen haben ihre eigene Art, das Spiel zu spielen. Einer sagt was und drei wissen's besser. Das Gesagte passt eventuell nicht zu dem, was der nächste gerne hätte, also wird wild diskutiert, bis man einen Konsens gefunden hat, der alle Beteiligten zufriedenstellt, erst dann geht es weiter. Es ist wirklich spaßig, da wird wild gehext, gestorben, geheiratet, es gibt Vögel, die Menschen davon tragen, Mädchen, die sich in Bäume verwandeln, Beduinen, die wie die Kelly-Family durch deutsche Lande ziehen und musizieren, alles was man phantasieren kann, kann auch passieren. Schön.
Zuletzt dann eine letzte Runde "Stille Post". Immer ein Beduine neben einem von uns und jeder nimmt ein Wort in seiner Muttersprache. Letzte Runde, letztes Wort ... was hinten bei Yassi ankommt, der es ausspricht, ohne es zu verstehen: "Leben ist Liebe". Was Said ursprünglich gesagt hatte war 'Habibi' (Liebling). Wie aus dem ursprünglich arabischen Wort diese deutsche Redewendung werden konnte, ist uns allen rätselhaft, noch unmittelbar vor Yassi war das Wort ganz nah an 'Habibi'. Aber eigentlich ist es egal, denn es drückt nur aus, was gerade passt: Leben ist Liebe ... hier an diesem letzten Abend am Lagerfeuer ...

Müde ...


Mal abgesehen von der aller ersten Nacht, war dies glaube ich die schlimmste Nacht, die ich überhaupt in der Wüste hatte. Die Wärme, der penetrante Wind, eine nervige Maus, die ständig hinter meinem Kopf hin und her huschte, zwischendurch immer mal ein paar Regentropfen, dunkle Wolkenmassen, die dann doch nichts brachten ... ich bin fix und fertig.

Der Wind war heute Nacht wirklich so stark, dass ich dachte, es weht uns mit samt Schlafsack und Gepäck vom Felsvorsprung. Und in die Höhle zu gehen hatte ich auch keine Lust. Da wimmelts nachts bestimmt von Viehzeug, ich habe genug Echsenspuren gesehen, die nicht gerade klein aussahen. Und wahrscheinlich gibt's da mehr als nur eine penetrante Maus ... Die liebe Eva hat heute Nacht wirklich unter meiner Quängelei leiden müssen. Nichts war mir recht. Draußen alles doof. Höhle auch doof. Doofer Wind. Doofe Maus. Doofe Lilli. So ist das eben, wenn Lillebroer kränklich ist. Unlustig. ich frage mich, wie der Wolfman hoch oben die Nacht überlebt hat. Hoffentlich hat's ihn nicht verweht, unseren Superhelden.

(Maria und Hans-Jürgen hatten auch nächtlichen Besuch - aber während ich zu beschäftigt mit meiner Nase war, haben sie ein Foto vom Mäuschen gemacht)

Die Erkältung ist nun definitiv da, wie ich es schon befürchtet hatte. Meine Nase läuft in einer Tour und mein Hals tut weh beim schlucken. Hoffentlich wird's im Laufe des Tages besser. Vielleicht schwitzt man's ja aus, bei dieser Hitze ..!? Jetzt ist es wieder windstill und gleich geht die Sonne auf. Es ist fünf Uhr durch und ich bin tooooodmüde ... habe kaum einen Blick für den schönen Sonnenaufgang über.
Ich mache mich mal besser fertig, sobald Eva aus dem "Bad" kommt, die anderen sind auch alle schon wach, das Feuer ist an, ich kann Rauch am Lager aufsteigen sehen. Nach dem Frühstück reiten wir weiter, ein letzter Lagerplatz, eine letzte Nacht ... nein – nicht daran denken!!! Das ist nicht jetzt. Lieber will ich versuchen, die letzten beiden Tage trotz der blöden Erkältung zu genießen. Bin gespannt, wo es heute hingeht, Maria hat uns etwas von einer Oase erzählt, durch die wir reiten und die gewisse "Pflanzungen" birgt, die wohl sehr schön anzusehen aber nicht ganz legal sind. Egal ... ich freue mich auf die schönen Mohnfelder, ganz gleich, was später daraus gemacht wird. Blumen in der Wüste, ist doch nett, oder?

Nächtlicher Wüstenkoller


Es ist wirklich krass heiß geworden. Selbst nachts kühlt es sich nicht mehr sonderlich ab und ich schwitze mich tot in meinem auf max. 5°C ausgelegten Winterschlafsack. Zu rechnen war mit diesen Temperaturen wohl nicht. Normal wären jetzt Nachts Temperaturen um die 0° C gewesen, +/- 5°. So, wie es in den ersten Nächten noch war, da war es nie über 10° C. Manchmal hatte ich zwei Schlafsäcke ineinander gesteckt, um nicht zu frieren. Nun ist der dünne zu dünn und der dicke zu dick – dumm gelaufen. Wirklich übel ist vor allem der Wind, der nachts konstant bläst und nicht zu unterschätzen ist, wenn man nass geschwitzt den Schlafsack öffnet. Mal abgesehen von der Gefahr, sich zu verkühlen, ist es auch wirklich nervig, so im Windzug zu liegen. Und ich rede nicht von leichten Brisen! Es pfeift zwischenzeitlich wie an der Nordsee im Winter bei Windstärke 8 bis 10 und bringt mich z.Zt. regelmäßig um den Schlaf, dieses nervige Peitschen, Heulen und Pfeifen. Die anderen sind da offenbar nicht so empfindlich, aber mir tut es wirklich weh in den Ohren und im Hals. Schlafen kann ich nur, wenn ich mir die Schlafsackkapuze komplett über den Kopf ziehe – doch dann sterbe ich wieder den Hitzetod. Tags in der Wüste schwitzen ist eine Sache – nachts eine ganz andere. Das finde ich viel unangenehmer, zumindest, wenn man schlafen möchte. Und diese ständige Gefahr, dass es anfängt zu regnen, macht mich auch nervös. Der Himmel sieht gruselig aus und die Luft ist wirklich feucht, für Wüstenverhältnisse. Die Schlafsäcke sind morgens klamm bis nass und selbst der Mond hat einen sichtbaren Hof, was ich hier vorher auch noch nicht gesehen habe.

Eva liegt neben mir und steht da total drüber, sie schläft einfach und kann meine Sorge gar nicht nachvollziehen: wenn's regnet, regnet's eben – dann können wir noch immer in die Höhle gehen, meint sie. Recht hat sie ja. Trotzdem fallen mir andauernd die diversen Horrorgeschichten ein, die man mir erzählt hat, über Regen in der Wüste und wie plötzlich er kommen kann und mit welcher Wucht. Ich bin nicht wirklich wild darauf, im Schlaf weggeschwemmt zu werden (was an unserem Schlafplatz natürlich nicht passieren wird, so schlau sind wir mittlerweile schon, das wir uns "sichere" Plätze suchen). Ach, ich weiß auch nicht, was im Moment mit mir los ist. Wüstenkoller. Wetterkoller. Ich glaube, ich kriege eine Erkältung und bin in Moment einfach etwas "unleidlich". Und der Gedanke an den bald bevorstehenden Abschied macht mir auch zwischendurch zu schaffen, obwohl ich versuche, nicht soviel daran zu denken, um mir die letzten schönen Tage nicht selber zu verleiden. Das wird früh genug real. Leider. Also, im Moment bleiben ist angesagt. Und im Moment ... bin ich einfach nur genervt. Mistiger Wind. Bäh.

Verstehen durch Stille

Hier der Text von Nelson Mandela, den Maria uns heute vorgelesen hat:

Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind,
unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind.

Es ist unser Licht das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.
Wir fragen uns: Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, hinreißend,
begnadet und phantastisch sein darf?

Aber wer bist du denn, dass du es NICHT sein darfst?

Du bist ein Kind Gottes.
Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht.
Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du dich begrenzt,
damit andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen.

Du wurdest geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen,
die in uns ist. Nicht nur in einigen von uns - sie ist in jedem Menschen.

Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst
auch anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun.

Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart
ohne unser Zutun andere befreien.

(Nelson Mandela, 1994)

(Maria leitet eine unserer Meditationen an ... die Stimmung ist friedlich und wundervoll)

Zwischenmenschliches

Mit jedem Tag in der Wüste verändert sich unser Verhältnis zueinander, wird tiefer, vertrauensvoller, lebendiger. Auch das Verhalten der Beduinen uns gegenüber hat sich gewandelt, seit der Nacht, in der wir mit dem Sandsturm zu kämpfen hatten und gezwungen waren, alle zusammen auf engstem Raum zu übernachten. Das Frühstück am Morgen darauf war das erste, das wir halbwegs gemeinsam einnahmen und danach kam es dann häufiger einmal vor, dass die Beduinen uns während des Essens Gesellschaft leisteten, anstatt sich nach dem Kochen sofort zurückzuziehen. Die vielen lustigen, "völkerverbindenden" Spiele haben noch das ihre dazu getan – das spielerische "Händchenhalten und Augenzwinkern" hat Berührungsängste abgebaut, ganz ohne zu plumpen Vertraulichkeiten zu führen. Dafür sind unsere 'Jungs' viel zu stark in ihre Traditionen eingebunden, zu höflich und respektvoll uns gegenüber. Unser Verhältnis ist jetzt ungezwungener, offener und freundschaftlicher, es scheinen nicht mehr soviele Hemmschwellen vorhanden zu sein, weniger kulturelle und religiöse Berührungsängste. Und seit wir hier an diesem neuen Platz sind, an dem wir jetzt zwei Tage bleiben wollen, ist es noch einmal anders geworden. Alle sind viel entspannter, relaxter und offener.




Den Morgen haben wir wieder einmal mit Spielen verbracht. Danach hat Wolfman sein Buch herausgeholt und alle unsere Namen aufgeschrieben – unsere und die der Beduinen – und sie von Farag und den anderen auf Arabisch daneben schreiben lassen. Wir alle haben 'unsere' Beduinen inzwischen sehr ins Herz geschlossen und es ist schön zu beobachten, wie wir als Gruppe immer enger zusammenwachsen. Anfangs haben sich die Beduinen z.B. für ihre Gebete immer weit entfernt, sich einen Platz abseits von uns gesucht und sind dann ganz unauffällig nacheinander verschwunden. Inzwischen beten sie völlig ungezwungen, ohne Scham oder Hemmungen und es ist natürlicher Bestandteil des Tages geworden. Jetzt beten oft alle gemeinsam, gleich vor unserem Lager, in Seh- und Hörweite. Sie nutzen meist ihre Tücher als 'Gebetsteppich', richten diese gen Mekka aus und – nach dem vorherigen Waschen der Hände und Füße – stehen sie zunächst, verbeugen sich dann und berühren im Sitzen zweimal den Boden mit der Stirn. Während des Gebets (5 x am Tag) werden Stellen aus dem Koran rezitiert, fast gesungen, was sich immer sehr schön anhört, besonders seit sie in der Gruppe beten.

Auch wir entfernen uns für unsere Meditationen nicht mehr großartig, bleiben meist in Blickweite der Beduinen und fühlen uns dabei kein bisschen "komisch" oder peinlich berührt. Es ist schön zu spüren, wie wir uns gegenseitig Respekt entgegenbringen und niemand den anderen für seine Religion ver- oder beurteilt, nicht wertet oder missioniert. Es ist eine sehr friedvolle und mitmenschliche Atmosphäre, auch innerhalb unserer Gruppe, die ja eine bunte Mischung ist, aus unterschiedlich orientierten Christen, Buddhisten und Personen, die mit Religion wenig am Hut haben. Ob man nun an Gott, Allah, Buddha oder nichts dergleichen glaubt, könnte nicht unwichtiger sein. Jeder hat seine ganz spezielle "Gabe" mit der er gesegnet ist, seine ganz besonderen Qualitäten, die er in den Alltag einbringt, das gilt für unser Grüppchen genauso wie für die Beduinen.



Fiel es am Anfang noch schwer, den Gesichtern die jeweils richtigen Namen zuzuordnen, ist das nun ganz selbstverständlich. Jeder Name steht für einen unverwechselbaren Charakter, eine ganz individuelle Persönlichkeit, nicht einfach für "irgendeinen" beliebigen, austauschbaren Beduinen, sondern für einen Menschen, den man ohne hinzusehen an der Stimme erkennt, an seinem Lachen oder an seinen Schritten. Kleine Details, die jeden einzelnen von ihnen – und auch uns – auszeichnen. Wie in der Geschichte vom kleinen Prinzen haben wir uns alle miteinander "vertraut gemacht" und jeder entdeckt in jedem anderen etwas Einzigartiges, was eben diesen einen Menschen unverwechselbar macht. Wir sind schon eine tolle, wirklich hinreißende, begnadete und phantastische* Gruppe!!

*aus: Verstehen durch Stille, Nelson Mandela, 1994.

Das war heute Bestandteil unserer Meditation. Wen es interessiert, ich poste den Text gerne unten.

Telefonzellen in der Wüste ...

Während des Abendessens haben wir vorhin beschlossen, noch einen weiteren Tag hier zu bleiben. Das ist dann das erste Mal, das wir länger als eine Nacht an ein und demselben Ort bleiben. Aber es gefällt uns allen so gut hier, wir wollen noch nicht weg! Es ist wirklich ein wunderschönes Wadi, offen zu drei Seiten und zur anderen bieten uns die Berge "Rückendeckung". Dann ist da noch die Höhle, um Schutz zu suchen, vor Sonne, Regen oder Sand, was auch nicht zu verachten ist. Und unendlich viel Platz, um sich tagsüber (und auch nachts) zu verteilen, für sich zu bleiben, umherzuwandern oder einfach nur irgendwo zu sitzen.


(Hier seht ihr uns beim Lunch in der Höhle ... angenehm kühl, im Vergleich zu den Temperaturen draußen!)

Die Beduinen scheinen trotz der nun notwendigen Neuorganisation unserer weiteren Pläne (Tagesetappen, Strecke, Abholung) recht happy zu sein, dass wir hier bleiben möchten. Für sie macht das vieles einfacher. Das Be- und Entladen der Kamele mehrmals am Tag ist bestimmt kein reines Vergnügen, seit es dermaßen heiß geworden ist. Und sicher sind sie auch nicht gerade traurig darüber, tagsüber hier im Schatten bleiben zu können, statt stundenlang in der Affenhitze hinter unseren Kamelen herzulaufen. Jetzt sitzen sie mit uns am Feuer und planen, wie wir's machen können. Farag will gleich losreiten, um zu telefonieren und unsere Abholung am 8. April neu zu organisieren.

Telefonieren in der Wüste? Wie geht denn das? Zuerst hat Farag erzählt, es gäbe eine Telefonzelle, die man in gut 1,5 Std. mit dem Kamel erreichen könnte. Fast hätte ich's geglaubt – man weiß ja nie – was weiß ich über Telefone in der Wüste? Er hat sich vor Lachen wieder mal gekringelt, dass er uns an der Nase herumgeführt hat. Was die Beduinen als 'Telefonzelle' bezeichnen, ist ähnlich amüsant wie das, was man im Camp als 'Supermarkt' bezeichnete: Ein Beduine mit einer großen Plastiktüte, der mehrmals am Tag vorbei kam und bei dem man Zigaretten, Kekse, Knabberzeug und diverse andere brauchbare Dinge kaufen konnte. Die Telefonzelle in der Wüste ist – völlig unspektakulär – ein genau definierter Platz, der im Umkreis von Kilometern den einzigen Handyempfang bietet. Für einen Laien absolut nicht erkennbar oder gekennzeichnet, hat man genau dort – und nur dort – schwachen Handyempfang.

Wenn ich mir vorstelle, wie dieser Platz jemals entdeckt worden ist, geht meine Phantasie mit mir durch. Wie in einem Mel Brooks-Film sehe ich eine riesige Karawane von Beduinen mit ausgestrecktem Arm und Handy in der Hand nach einem genau definierten Plan, völlig strategisch ausgeklügelt, durch die unendlichen Weiten der Wüste reiten und den Handyempfang prüfen. Eine Karawane reitet von Nord nach Süd, die andere von Ost nach West. So bleibt kein Meter ungeprüft. Tage, Wochen und Monate später hat ein Reiter Erfolg. Die Nachricht verbreitet sich in der Wüste wie eine Lauffeuer und alle treffen sich an der sogenanten Telefonzelle, um voll ausgelassener Freude eine Beduinenparty zu feiern. Punkt. Telefonzelle eingeweiht. Und weil die Beduinen offensichtlich ihre ganz eigenen Mittel und Wege haben, bestimmte Punkte in der Wüste wiederzufinden, die sich mir bisher nicht erschlossen haben, kommen seitdem die Kamele von nah und fern, um ihre unaufschiebbaren Telefonate zu führen. Wen rufen die Beduinen an? Sich untereinander wohl kaum, denn dann müssten sie ja in der gleichen "Telefonzelle" stehen. Mit ihren Handys Rücken an Rücken sitzen. Rufen sie die Beduinen eines anderen Stammes an, die ihre eigene Telefonzelle weiter südlich haben? Die Auskunft? Die Wüstenwettervorhersage? Lottozahlen? Wen auch immer, ich bin mir sicher, Warteschlangen gibt es an diesen Telefonzellen nicht. Und keine beschädigten Türen und Telefonhörer. Wirklich wartungsfrei. Pragmatisch wie immer, die Beduinen.



Farag jedenfalls ruft gleich jemanden an, der für unsere Abholung mit dem Jeep verantwortlich ist. Zu zweit reiten sie in der stockdunklen Nacht los, anderthalb Stunden hin, anderthalb Stunden zurück, ohne Scheinwerfer und ohne Stirnlampen, und es ist faszinierend, wie sie den Weg finden, wie sie oder die Kamele im Dunkeln überhaupt etwas sehen können. Wie orientiert man sich? Es gibt hier im Lager genau eine Taschenlampe (also beduinenseitig), das ist so ein lustiges Ding – man schüttelt es ein paar Mal und dann hat man einen Moment lang Licht (Induktionstaschenlampe heißt es wohl richtig). So braucht man keine Batterien. Denn hier ist der nächste Supermarkt weit und Steckdosen um Akkus zu laden auch. Wie machen die das mit ihren Handys? Schütteln sie die auch? Die Welt der Beduinen wird mir wohl noch lange Zeit ein Geheimnis bleiben ...

Wüstenstimmung


Die Stille der Wüste ist absolut immens, gewaltig und dabei trotzdem ... friedlich. Die einzig wahrnehmbaren Geräusche, die ich in den Stunden seit heute morgen gehört habe waren eine plötzliche Windbrise, die vorübergehend Kühlung brachte, das omnispräsente Summen der gelben Fliegen, das unerwartete Zwitschern eines raren Wüstenvogels, das zisselnde, zischende Geräusch einer flüchtenden Eidechse, ein herunterfallender Stein oder etwas Geröll, das ins Rutschen kam und vom Wind aufgepeitschter Sand. Das ist alles. Nichts menschliches, nichts menschgemachtes.

So ist also jeder von uns heute ganz für sich unterwegs, um der Stille zu lauschen. Jeder sucht und findet seinen eigenen 'Kraftort', seinen eigenen Weg und Platz in der Stille dieser Wüste. Und vertraut darauf, nicht verloren zu gehen, hofft, die Orientierung nicht zu verlieren, in dieser uns fremden und doch schon einigermaßen vertrauten Wüste, die nichts unheimliches mehr hat, sondern sich wirklich wie eine Art 'Zuhause' anfühlt. "... wherever I roll out my carpet that's my home ..."

Immer wieder erinnere ich mich an den gestrigen Tag, den wir komplett auf unseren Kamelen verbracht haben. Ich hätte weiter und weiter reiten können, hoch oben, weit genug entfernt vom heißen Sand, die Nase im Wind. Mittlerweile verstehe ich, warum das Kamel auch als "Wüstenschiff" bezeichnet wird, es hat wirklich ein bisschen was vom Segeln, das Kamelreiten. Man wiegt hin und her, auf und nieder, mal ruhiger, mal unruhiger. Es fühlt sich an wie Seegang. Mit der Zeit lernt man einfach loszulassen, zu entspannen und sich den Bewegungen des Kamels anzupassen, sich ihnen zu 'überlassen' und den Ritt einfach zu genießen. Man muss allerdings schon achtsam bleiben, denn immer wieder einmal gibt es einen kurzen, unerwarteten Galopp oder ein paar Ausfallschritte (Kamele stolpern erstaunlich häufig ...) und dennoch: es hat etwas sehr meditatives, so zu reiten. Elegant und majestätisch schreitet sie aus, die Karawane, mit uns hoch oben auf dem Rücken der Kamele, wie Fürsten oder ... Beduinen!

Diese Wüste ist ein wirklich heilsamer Ort. Beseelt, temperamentvoll, mächtig. Jeden Tag wird der eigene Geist ruhiger, lässt immer mehr Sorgen und Ängste los, die einen Zuhause noch enorm beschäftigt haben. Irgendwie entleert sich der Geist und schafft so Raum für die vielen neuen Eindrücke und für das, was wirklich wichtig ist. Intuition, Vertrauen, Liebe, Glaube. Die grundlegendsten Dinge der Welt. Raum für den Zauber, der allem anhaftet. Wir können eine Menge von den Beduinen lernen. Es stimmt schon, was man mir vor meiner Reise gesagt hat: wir reisen mit kleinem Gepäck, was unser Hab und Gut angeht. Viel schwerer wiegt das "Seelengepäck". Der Ballast, den wir im Kopf und im Herzen mit uns herumschleppen. Und dieses Gepäck wird jeden Tag ein bisschen leichter. Nicht umsonst sind Menschen aller Kulturen immer schon in die Wüste gegangen, um mit sich ins Reine zu kommen, um Entscheidungen zu treffen, um Erleuchtung zu suchen. Hier lenkt nichts ab. Man ist ganz bei sich. Alles reduziert sich aufs Wesentliche. Die Dinge werden definitiv wieder in die richtigen Dimensionen gerückt, vieles relativiert sich auf einmal. So intensiv habe ich das sonst noch nirgendwo erlebt. Nicht in den Bergen, nicht in Wäldern, nicht am Meer. Das ist die ganz spezielle Kraft der Wüste und vielleicht speziell des Sinai, der ja angeblich zu den intensivsten und energiereichsten Kraftorten überhaupt gehören soll. Und an diesem Ort hier scheint all das noch einmal konzentriert zu sein. Eine total friedliche, entspannende und kraftvolle Stimmung herrscht hier vor.


Maria und Hans-Jürgen wollen im Herbst mit einer Gruppe hierhin kommen und 14 Tage nur an diesem Platz bleiben. Schweigend. Wow. Stelle ich mir schon ziemlich krass vor. Wenn ich mir das ausmale, ist es weniger das Schweigen, das ich mir so extrem anstrengend vorstelle, als vielmehr das anschließend wieder sprechen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass es wirklich Überwindung kostet, sich nach 14 Tagen erstmalig wieder zu "artikulieren", also nach außen zu kommunizieren. Das hat mit der Intensität des Schweigens hier zu tun. Lässt sich schwer beschreiben, ist vielleicht auch so eine "Wüstenerfahrung". Ich finde es auf den Retreats, die das buddhistische Zentrum hin und wieder veranstaltet, schon schwierig, nach den Schweigepausen wieder zu sprechen. Und dann nach dem Wochenende zurück in den Alltag zu kommen. Wenn ich mir das nun hier und 14 Tage vorstelle. Uff. Heavy stuff. Aber für zwei bis drei Tage ist's schon okay. Es ist wirklich 'tranquilo' hier. Ein Ort, um die Seele baumeln zu lassen, um die Gedanken zu ordnen und das Herz mal wieder richtig zu spüren. Es ist schön, hier zur Ruhe zu kommen, ohne andauernd wieder neue Sinneseindrücke aufnehmen zu müssen, wie es bisher während unserer Tagesmärsche der Fall war. Natürlich war das superschön, aber es wird etwas viel mit der Zeit. Man hat wenig Gelegenheit gehabt, zwischendurch das Gesehene, Gespürte und Gedachte auch wirklich zu verarbeiten. Aufzuarbeiten. Weil immer schon wieder etwas Neues zu entdecken war. Das ist hier anders.

Letzte Nacht habe ich geträumt, ich hätte einen Beduinen geheiratet, um hier bleiben zu können. Und der Gedanke war nicht einmal erschreckend. Obwohl ich nicht wirklich wild darauf wäre, für immer hier zu leben – eine Zeitlang könnte ich es mir sehr gut vorstellen.

Da sitze ich jetzt hier in dieser Schlucht, im Schatten der steilen Felsen über mir, mit den Füßen im Sand und alles erscheint mir so weit weg. Zuhause erscheint irgendwie irreal. Räume. Wände. Straßenverkehr. All das kommt mir so unnatürlich vor. Natürlich bin ich mir bewusst, dass das nun mal mein Leben ist, mein Alltag, der nur allzu schnell wieder Realität werden wird. Und doch bin ich mir sicher, dass mir vieles in einem anderen Licht erscheinen wird, wenn ich zurück bin. Die Wüste wird nicht sang- und klanglos verschwinden. Die Eindrücke, die Einsichten, die Erfahrungen ... die werden sicher etwas hinterlassen. Ich denke, keiner von uns wird gänzlich unverändert nach Hause fahren, dafür ist alles viel zu intensiv. Und viel zu schön. Keinen Tag, keine Minute meiner Zeit in der Wüste möchte ich missen. Einfach nur so zu sitzen wie jetzt, die Gedanken schweifen zu lassen, die Welt um mich herum wahrzunehmen. Das ist auch ein Phänomen: wie achtsam man auf jede Kleinigkeit wird, wenn sich die Sinneseindrücke so reduzieren. Die Wahrnehmung schärft sich absolut. Und dadurch gibt es dann doch wieder so vieles wahrzunehmen, wo man anfangs einfach nichts gesehen hat. Wie sich der Sand verändert. Nicht nur in der Farbe, auch in Struktur und Festigkeit. Wie unterschiedlich der Himmel aussieht. Die Wolken. Die Vegetation. Wieviel hier doch wächst. Die diversen unterschiedlichen Fußspuren der Tiere und Insekten. Wohin man auch schaut, es gibt fast überall etwas zu sehen. Und wo es nichts gibt, schaut man nach innen – da findet sich auch immer etwas, was schon lange einmal angeschaut werden wollte.


Langsam muss ich mich auf den Rückweg machen, es wird spät, die Schatten werden länger, bald ist Zeit für Meditation und Abendessen. Und dann wartet mein Bett auf mich. Diesmal wieder hoch oben auf einem Plateau, mit Blick auf die Kamele und auf das riesengroße Tal. Sollte es Regen geben, wonach es heute irgendwie aussieht, ist eine große Höhle in der Nähe, auf halbem Weg den Berg hinunter, da würden wir zur Not alle hineinpassen, auch die anderen, die unten schlafen. Nur unseren 'Wolfman' hat es mal wieder noch höher hinaus gezogen als Eva und mich. Er schläft ganz oben, auf dem Gipfel. Ein Weg, den ich nicht unbedingt später im Finstern zurücklegen wollte, aber er ist da recht 'schmerzfrei', bergerprobter Bayernbursche, der er ist.

Die Dunkelheit kommt hier plötzlich, jedoch nicht ganz so unerwartet, wie ich mir das immer vorgestellt habe. Diese Vergleiche, dass es wäre, als würde jemand das Licht ausknipsen, wenn es in der Wüste dunkel wird, die stimmen nicht. Es dämmert schon, allerdings in stark geraffter Form. Von der ersten, kaum wahrnehmbaren Dämmerung, bis zur wirklichen Finsternis, dauert es in dieser Jahreszeit eine knappe halbe Stunde. Aber zum Schluss geht es dann schon sehr schnell und in Nächten ohne Mond sollte man die Taschenlampe immer griffbereit haben, ganz besonders wenn man sein Nachtlager oben im Berg errichtet hat und danach zum Essen wieder herunter muss. Im Stockfinsteren über loses Geröll bergab zu stolpern ist kein wirkliches Vergnügen und sorgt für ziemlich üble Schürfwunden, wie ich erst kürzlich feststellen musste! Generell wären Verletzungen in der Wüste gar kein so großes Problem, da die Wüste relativ steril ist und es wenig Bakterien in diesem trockenheißen Klima gibt, zum Problem werden Verletzungen erst durch die Fliegen, die sich gerne auf offene Wunden setzen und dort alle möglichen Erreger hinterlassen, an die wir Mitteleuropäer – im Gegensatz zu den Wüstenbewohnern – einfach nicht gewöhnt sind. Insofern ist auch mit kleineren Verletzungen nicht zu spaßen und Wunden sollten immer sofort mit antiseptischen Salben desinfiziert und mit Pflastern oder Verbänden vor Fliegen geschützt werden, besser ist besser.

So, ich packe ein, mache noch ein paar Fotos auf dem Weg und melde mich später wieder.


(So kann das dann aussehen, wenn man zu spät zur Meditation kommt und
Maria ohne uns anfängt ..!)