Zwischenmenschliches

Mit jedem Tag in der Wüste verändert sich unser Verhältnis zueinander, wird tiefer, vertrauensvoller, lebendiger. Auch das Verhalten der Beduinen uns gegenüber hat sich gewandelt, seit der Nacht, in der wir mit dem Sandsturm zu kämpfen hatten und gezwungen waren, alle zusammen auf engstem Raum zu übernachten. Das Frühstück am Morgen darauf war das erste, das wir halbwegs gemeinsam einnahmen und danach kam es dann häufiger einmal vor, dass die Beduinen uns während des Essens Gesellschaft leisteten, anstatt sich nach dem Kochen sofort zurückzuziehen. Die vielen lustigen, "völkerverbindenden" Spiele haben noch das ihre dazu getan – das spielerische "Händchenhalten und Augenzwinkern" hat Berührungsängste abgebaut, ganz ohne zu plumpen Vertraulichkeiten zu führen. Dafür sind unsere 'Jungs' viel zu stark in ihre Traditionen eingebunden, zu höflich und respektvoll uns gegenüber. Unser Verhältnis ist jetzt ungezwungener, offener und freundschaftlicher, es scheinen nicht mehr soviele Hemmschwellen vorhanden zu sein, weniger kulturelle und religiöse Berührungsängste. Und seit wir hier an diesem neuen Platz sind, an dem wir jetzt zwei Tage bleiben wollen, ist es noch einmal anders geworden. Alle sind viel entspannter, relaxter und offener.




Den Morgen haben wir wieder einmal mit Spielen verbracht. Danach hat Wolfman sein Buch herausgeholt und alle unsere Namen aufgeschrieben – unsere und die der Beduinen – und sie von Farag und den anderen auf Arabisch daneben schreiben lassen. Wir alle haben 'unsere' Beduinen inzwischen sehr ins Herz geschlossen und es ist schön zu beobachten, wie wir als Gruppe immer enger zusammenwachsen. Anfangs haben sich die Beduinen z.B. für ihre Gebete immer weit entfernt, sich einen Platz abseits von uns gesucht und sind dann ganz unauffällig nacheinander verschwunden. Inzwischen beten sie völlig ungezwungen, ohne Scham oder Hemmungen und es ist natürlicher Bestandteil des Tages geworden. Jetzt beten oft alle gemeinsam, gleich vor unserem Lager, in Seh- und Hörweite. Sie nutzen meist ihre Tücher als 'Gebetsteppich', richten diese gen Mekka aus und – nach dem vorherigen Waschen der Hände und Füße – stehen sie zunächst, verbeugen sich dann und berühren im Sitzen zweimal den Boden mit der Stirn. Während des Gebets (5 x am Tag) werden Stellen aus dem Koran rezitiert, fast gesungen, was sich immer sehr schön anhört, besonders seit sie in der Gruppe beten.

Auch wir entfernen uns für unsere Meditationen nicht mehr großartig, bleiben meist in Blickweite der Beduinen und fühlen uns dabei kein bisschen "komisch" oder peinlich berührt. Es ist schön zu spüren, wie wir uns gegenseitig Respekt entgegenbringen und niemand den anderen für seine Religion ver- oder beurteilt, nicht wertet oder missioniert. Es ist eine sehr friedvolle und mitmenschliche Atmosphäre, auch innerhalb unserer Gruppe, die ja eine bunte Mischung ist, aus unterschiedlich orientierten Christen, Buddhisten und Personen, die mit Religion wenig am Hut haben. Ob man nun an Gott, Allah, Buddha oder nichts dergleichen glaubt, könnte nicht unwichtiger sein. Jeder hat seine ganz spezielle "Gabe" mit der er gesegnet ist, seine ganz besonderen Qualitäten, die er in den Alltag einbringt, das gilt für unser Grüppchen genauso wie für die Beduinen.



Fiel es am Anfang noch schwer, den Gesichtern die jeweils richtigen Namen zuzuordnen, ist das nun ganz selbstverständlich. Jeder Name steht für einen unverwechselbaren Charakter, eine ganz individuelle Persönlichkeit, nicht einfach für "irgendeinen" beliebigen, austauschbaren Beduinen, sondern für einen Menschen, den man ohne hinzusehen an der Stimme erkennt, an seinem Lachen oder an seinen Schritten. Kleine Details, die jeden einzelnen von ihnen – und auch uns – auszeichnen. Wie in der Geschichte vom kleinen Prinzen haben wir uns alle miteinander "vertraut gemacht" und jeder entdeckt in jedem anderen etwas Einzigartiges, was eben diesen einen Menschen unverwechselbar macht. Wir sind schon eine tolle, wirklich hinreißende, begnadete und phantastische* Gruppe!!

*aus: Verstehen durch Stille, Nelson Mandela, 1994.

Das war heute Bestandteil unserer Meditation. Wen es interessiert, ich poste den Text gerne unten.

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