Zu Gast bei einer Beduinenfamilie

Auf der Rückfahrt vom Kloster wurden wir von unserem beduinischen Fahrer zu einem Tee bei seiner Familie eingeladen, das war schon ein Erlebnis ..! Die Familie wohnte zwar in einem richtigen, festen Haus (nicht in einem Zelt – das war einmal!), wie wohl die meisten Beduinenstämme heutzutage, jedoch konnte man es nicht mit dem vergleichen, was wir in Deutschland unter einem Wohnhaus verstehen würden. Die Wände bestanden aus rohen, unverputzten Mauersteinen, es war extrem dunkel im Haus, durch die kleinen Fenster kam kaum Licht in den Raum (deshalb die unscharfen Bilder – wir wollten nicht unhöflich überall herumblitzen) und auch einen festen Fußboden gab es nicht, das Haus war sozusagen "auf Sand gebaut", mit Teppichen als Bodenbelag und zugleich Sofaersatz. Auf den hölzernen Deckenbalken lagen anstelle von Dachziegeln oder Platten einfache Palmwedel ... was aber vorteilhaft war, denn das Lagerfeuer, auf dem gerade gekocht und gebacken wurde (und das gut einen Quadratmeter Fläche einnahm), befand sich mitten im Hauptwohnraum. Die Rauchbildung war enorm, trotz der "offenen Decke" – mir tränten sofort die Augen und der Hals begann zu kratzen. Es dauerte etwas, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Rund um das Feuer lagen die Teppiche und Sitzkissen, auf denen gesessen und gegessen wurde. Es wimmelte von Kindern in allen Altersklassen und mittendrin liefen die Ziegen umher, die hin und wieder versuchten, sich etwas von dem frisch gebackenen Brot zu stibitzen, woraufhin sie jedes Mal halbherzig verscheucht wurden, nur um es kurz darauf wieder zu versuchen.




Für die Kinder waren wir offenbar eine ziemliche Attraktion und binnen kürzester Zeit saßen sie alle ganz brav, aber sehr neugierig, um uns herum wie die Orgelpfeifen. So exotisch und gewöhnungsbedürftig dieses "Ambiente" auch war, so natürlich und vertraut war das Verhalten der Kinder. Nicht anders als Kinder in aller Welt waren sie zunächst etwas verlegen, bis der mutigste unter ihnen den Anfang machte und zaghaft Kontakt zu uns aufnahm. Schüchtern begann Mohammed, uns seine Schreibkenntnisse zu präsentieren. Nacheinander nannte er uns die Namen seiner Geschwister und schrieb deren Namen in den Sand, was bei den anderen für amüsiertes Gekicher sorgte. Nach und nach tauten auch die anderen Kinder auf und begannen ganz süß auf arabisch zu erzählen, während die Mutter (die sich übrigens nur für die Fotos den Schleier vor's Gesicht legte) freundlich aber ungerührt weiter ihr Fladenbrot backte, als hätte sie täglich solch "seltsamen" Besuch aus Deutschland. Gebacken wurde auf einer Art umgekehrt liegendem Wok. Der Teig aus Salz, Weizenmehl und Wasser wurde geknetet, zu Kugeln gerollt, flach geschlagen und auf dem heißen Topfboden in wenigen Minuten fertig gebacken. Das Brot wurde zunächst wie Pfannkuchen auf einem Teller gestapelt und nach dem Abkühlen frisch serviert. Außer der Mutter, den Kindern und den Ziegen waren noch ein sehr alter Mann – von dem es hieß, er sei ein berühmter Heiler – sowie ein jüngerer Mann, der offenbar der Vater der Kinder war, anwesend. Obwohl uns das in diesem Moment nicht bewusst war, war es wohl eher ungewöhnlich, dass wir eine solche häusliche Situation, miterleben durften, denn normalerweise ist es westlichen Besuchern nicht "vergönnt", das Miteinander von Frau und Mann, diese intimeren Familiensituationen, zu Gesicht zu bekommen. Sonst bleiben die Beduinenfrauen eher unter sich und Besucher haben fast nur Kontakt zu den Männern. Dass sie sich in unserer Gegenwart neckten und sogar gewisse Körperkontakte austauschten, bedeutete wohl einen großen Vertrauensbeweis, fast schon eine Ehre, wie Maria uns später erklärte, die wir wohl der Tatsache zu verdanken hatten, dass wir als Freunde eines Familienmitglieds und nicht als Touristen betrachtet wurden.

Die Familie gehörte zum Stamm der Muzeina, in dem es durch Inzucht, (arabisch: bint 'amm = Tochter des Vaterbruders) eine sehr hohe Anzahl gehörloser Menschen gibt. Jedoch zeichnen sich die Muzeina dadurch aus, dass sie ein unheimlich gutes soziales Gefüge haben und diese Gehörlosen nicht außen vor gelassen, sondern voll ins alltägliche Familienleben integriert werden. Sie haben eine eigene Gebärdensprache entwickelt, mittels derer sie kommunizieren, und viele lernen sogar trotz ihrer Gehörlosigkeit sprechen. Es war rührend, mitanzusehen, wie die größeren Kinder sich liebevoll mit den kleineren beschäftigten, wie der alte Mann und der allerkleinste Sohn zärtlich miteinander spielten und überhaupt alle Personen sehr fürsorglich und respektvoll miteinander umgingen. Es herrschte eine sehr innige und friedliche Atmosphäre, die in keinster Weise den Klischees entsprach, die wir häufig vom Alltag arabischer Familien haben. Auch wir wurden respektvoll und herzlich aufgenommen, und es war trotz der – für unsere Verhältnisse – mehr als schlichten äußeren Umstände ein Erlebnis, das sicher keiner von uns missen wollte. Trotz aller Sprachbarrieren entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch und besonders die Kinder hatten es – zumindest uns Frauen – angetan. Ein sehr hübsches Mädchen von vielleicht 10 oder 11 Jahren, das offenbar auch taub war, schaute uns die ganze Zeit voller Ehrfurcht an und nahm immer wieder unsere Hände. Als es Zeit für den Aufbruch war, wollte sie uns gar nicht mehr loslassen und fing an zu weinen. Immer wieder legte sie unsere Hände auf ihr Herz, lächelte uns unter Tränen an, sagte ihren und unsere Namen und umarmte uns am Auto sogar ganz fest. Eva und mir kamen auch schon die Tränen und vor lauter Winken fielen uns beinahe Hände und Arme ab. Die Kinder liefen winkend neben dem Auto her, solange sie konnten und dann war es vorbei.

Ein ereignisreicher Tag, voller neuer Eindrücke und Denkanstöße, was sicher nicht nur ich so empfunden habe – beim Abendessen waren wir heute auf jeden Fall alle extrem ruhig und gedankenverloren. Alles kommt mir gleichzeitig real und unwirklich vor ... ich glaube, ich muss das jetzt alles erst einmal richtig verarbeiten!

Keine Kommentare: