Leben ist Liebe – und Hitze ...

Nach einem schon etwas spärlichen Frühstück (die Vorräte schwinden nun langsam dahin), ging es los in Richtung Ain Umm Ahmed, der besagten Oase. Es hängt schon eine etwas melancholische Stimmung in der Luft, alle sind traurig, dass der Abschied naht. Der Weg zu dieser Oase war wirklich seltsam ... quer durch die Plantagen, überall Marihuana, streng bewacht. Es wundert mich, dass wir überhaupt hier hindurch reiten dürfen. Eigentlich wäre es eine superschöne Oase, riesengroß, ein kleines Dorf. Nur leider wird für die berauschenden Pflänzchen das ganze Wasser abgezapft, der Grundwasserspiegel sinkt und lange wird es nicht mehr dauern, bis die natürliche Vegetation verschwunden ist. Viele Palmen wurden wohl auch gefällt. Und überall liegen diese hässlichen Schläuche zur Wasserversorgung, grauenhaft. An einem Tümpel konnten wir uns waschen, und auch wenn das Wasser etwas brackig riecht, tut es gut, die Haare mal vom Tuch zu befreien und durchzuwaschen. Vom ewigen Tücher tragen und plattdrücken habe ich regelrecht Muskelkater in den Haarwurzeln.

Heute ist der absolute Hitzerekordtag. Es ist fast nicht auszuhalten und es wimmelt nur so von Fliegen. Die Kamele haben die Gesichter voll von ihnen und sind entprechend genervt. Die kleinste Bewegung lässt uns heute den Schweiß ausbrechen, das ist auch neu. Das Schwitzen, meine ich. Bisher hat man nur unter dem Rucksack geschwitzt, durch den Druck und das Kunststoffmaterial, aber nicht an der Luft, egal wie heiß es war. Heute ist es anders. Drückend. Der Himmel sieht seltsam aus, gelblich, als gäbe es Sturm. Sandsturm?

Wir liegen hier im Schatten der Palmen, auf unseren Teppichen und Decken, wie die Ölsardinen in der Dose. Keiner bewegt sich. Es ist viel zu anstrengend, bei der Hitze die Fliegen zu verjagen, weshalb die meisten sich die Tücher um die Gesichter gewickelt haben. Allgemeine Lethargie liegt in der Luft.

Die Beduinen spielen schweigend Dame oder etwas ähnliches, mit Steinen und Kamelkötteln. Andauernd spielen sie dieses Spiel und sind dann so vertieft, dass sie alles um sich herum vergessen. Faszinierend. Aber auch daran kann ich nicht lange denken. Zu anstrengend. Zu heiß. Es herrscht Totenstille, bis auf das Summen der Fliegen. Das ist das einzige Geräusch, aber es ist durchdringend. Es surrt und schwirrt wie von hundert Helikoptern. Und die Hitze flirrt und brennt. Das Denken schläft ein. Wir schalten komplett auf Sparflamme. Kein Reden, minimales Atmen, keine überflüssigen Bewegungen ... nur durchhalten, warten, dass es kühler wird. Der Wind bläst noch immer, wie ein Fön. Abkühlung bringt er nicht, höchstens oben auf dem Kamel, aber hier unten auf dem Boden ist nicht daran zu denken. Alle träumen von Wassereis und gekühlten Getränken. Wasser, das mal nicht Körpertemperatur hat, eiskalte Cola, ein kühles Bier ... solche Gelüste hatten wir noch nie, während unserer Zeit in der Wüste. Liegt's an der Hitze oder am nahenden Abschied?

Irgendwann gegen Nachmittag wird es kühler. Endlich. Wir können weiter, nur die Kamele müssen noch getränkt werden, die sind echt am Ende und genau so lethargisch wie wir.

Die Wasserstelle ist mitten im Marihuanafeld und die Beduinen bitten um Erlaubnis, dass wir Halt machen dürfen. Nach einer kurzen Diskussion wird uns Zutritt gewährt, man erlaubt uns sogar etwas herumzulaufen und uns umzuschauen, nur Fotos sind natürlich tabu. Es ist zwar sehr spannend, diese Unmengen an 'Gras' da herumstehen zu sehen, aber wir sind alle zu tranig von der Hitze, um lange darüber nachzudenken oder uns für irgendetwas wirklich zu interessieren, dennoch erinnert die Situation an englische Filme wie 'Grasgeflüster' und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Das Ambiente ist wirklich seltsam, um nicht zu sagen: bizarr. Die karge Wüste, mittendrin dieses saftig grüne 'Gras', die blühenden Schlafmohnfelder, die verschleierten Wächter und Arbeiter (keine Beduinen, meist Fremdarbeiter aus Assuan und vom afrikanischen Festland), und mittendrin wir – mit unseren Kamelen und Beduinen. Wir starren das 'Gras' an, die Arbeiter starren uns an. Sie sind überhaupt keine Touristen gewohnt – anders als die Beduinen – und wir erscheinen ihnen so fremd und exotisch wie nur irgendwas. Das spürt man deutlich. Sie gaffen und kichern und diskutieren über uns. Besonders über uns Frauen. Irgendwie fühlen wir uns mulmig und wollen weiter. Das Wetter wird auch nicht besser. Oben auf dem Kamel kann ich kaum mein Tuch festhalten, so stürmt es. Trotzdem ist es schön, noch einmal eine Strecke zu reiten. Alles hat eine gewisse Melancholie. Soviele 'letzte Blicke'. Abschied liegt in der Luft.

Endlich kommen wir an unserem letzten Schlafplatz an. Ein schöner Platz – viel Sand, ganz weich und weiß, wie Vogelsand. Es sieht heimelig aus und überall gibt es viele kleine "Schlafbuchten", am Fuße des Berges, direkt in diesem schönen Sand. Unsere letzte Nacht verbringen Eva und ich neben Bernd, den die Beduinen mittlerweile 'Sliman' (Kurzform von Suleiman) getauft haben. Said sagt, es bedeutet 'Man of Peace'. Ein schöner Name, der mittlerweile wirklich gut zu ihm passt. Bernd ist viel ruhiger geworden, mit jedem Tag in der Wüste.

Die Beduinen bauen unser letztes Lager. Noch einmal werden die Kamelsattel zu einer kleinen "Festung" aufgebaut, um uns vor dem Wind zu schützen. Trotzdem ist es reichlich ungemütlich, der Wind peitscht andauernd ins Feuer und wir werden regelrecht geräuchert, im Qualm, den man nicht entgehen kann, ganz egal wo man sitzt. Aber irgendwie passts zur allgemeinen Stimmung. Abschiedswetter. So fällt's leichter. Unser letzter Abend am Lagerfeuer. Unser letztes Beduinenmahl. Die letzten Spiele.

Wir spielen ein neues Spiel. Einer beginnt eine Geschichte und der nächste setzt sie fort. Wir auf englisch, die Beduinen auf arabisch. Farag übersetzt in beide Richtungen und übernimmt dabei sämtliche Details, Tonlagen und Ausschmückungen, die der jeweilige Erzähler von sich gibt, was die Sache wirklich lustig macht. Der arme Kerl hat gut zu tun, denn die Beduinen haben ihre eigene Art, das Spiel zu spielen. Einer sagt was und drei wissen's besser. Das Gesagte passt eventuell nicht zu dem, was der nächste gerne hätte, also wird wild diskutiert, bis man einen Konsens gefunden hat, der alle Beteiligten zufriedenstellt, erst dann geht es weiter. Es ist wirklich spaßig, da wird wild gehext, gestorben, geheiratet, es gibt Vögel, die Menschen davon tragen, Mädchen, die sich in Bäume verwandeln, Beduinen, die wie die Kelly-Family durch deutsche Lande ziehen und musizieren, alles was man phantasieren kann, kann auch passieren. Schön.
Zuletzt dann eine letzte Runde "Stille Post". Immer ein Beduine neben einem von uns und jeder nimmt ein Wort in seiner Muttersprache. Letzte Runde, letztes Wort ... was hinten bei Yassi ankommt, der es ausspricht, ohne es zu verstehen: "Leben ist Liebe". Was Said ursprünglich gesagt hatte war 'Habibi' (Liebling). Wie aus dem ursprünglich arabischen Wort diese deutsche Redewendung werden konnte, ist uns allen rätselhaft, noch unmittelbar vor Yassi war das Wort ganz nah an 'Habibi'. Aber eigentlich ist es egal, denn es drückt nur aus, was gerade passt: Leben ist Liebe ... hier an diesem letzten Abend am Lagerfeuer ...

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