Unsere kleine Karawane ...


Da ich es bisher schändlich versäumt habe, euch meine kleine "Wüstenfamilie" näher vorzustellen, möchte ich dies nun schnellstmöglich nachholen:

Unsere kleine Reisegruppe besteht aus Maria und Hans-Jürgen, die alles leiten und organisiert haben; Bernd, der schon in der Sahara mit den Tuareg gereist ist; Wolfgang, unserem 'Wolfman', den es stets hoch hinaus auf die höchstgelegenen Schlafplätze zieht; Eva, meiner fröhlich singenden 'Morgenblüte', die mir bereits sehr ans Herz gewachsen ist ... und natürlich aus mir, der orange betuchten Lilli.

Dann sind da noch die Beduinen, vom Stamm der Tarabin: Farag, unser 'Anführer', von allen respektiert und trotz seiner Jugend schon eine ziemlich charismatische Persönlichkeit, so eine Art liebenswerter "Hansdampf-in-allen-Gassen", der sich mit Kräutern, Kamelen und Kapoeira (brasilianische Kampfkunst) gleichermaßen auskennt; Adel, sein jüngerer Bruder, ein echter Sunnyboy, immer fröhlich und am Lachen, stets zu Späßen aufgelegt. Außerdem Said, der sehr ruhig ist, ich denke, er ist der älteste unter den Beduinen, er wirkt reifer als die anderen und kümmert sich viel um Ahmed, unseren kleinsten – und zuguterletzt Yassi, der etwas distanzierter ist, als die anderen. Vielleicht ist er aber auch nur schüchtern.

Außerdem kommen die sechs Kamele hinzu, von denen ich mir bisher nur zwei Namen merken konnte: Akrud, das ist Adels pubertärer Kamelhengst, der von Wolfgang geritten wird. Ihn erkennt man – außer an seiner teddybraunen Farbe – daran, das er beim Be- und Entladen häufig schreit (gurgelt) und protestiert, etwas launisch und unwillig ist, wirklich ganz typisch pubertärer Jüngling. Also ... Akrud, nicht Wolfgang! Und Evas Kamel heißt Shaylan, es ist sehr hell und hat blau-grünes Zaumzeug. Den Namen meines eigenen Kamels weiß ich noch immer nicht, muss aber gestehen, dass es mich auch nicht dermaßen interessiert. Zumindest ist es ein sehr gefügiges Kamel und lässt sich gut reiten und lenken, im Gegensatz zu vielen anderen, die oft geführt werden müssen weil sie die Abhänge gerne ruckelig huckelig hinunterrennen ...

Ja, das also ist unsere kleine 'Karawane'. Meine Wüstenfamilie für die nächste Zeit ...

(Hier links seht ihr uns beim frühstücken, alle bis auf Wolfman, der das Foto macht ... und rechts seht ihr unsere 'Tarabin')

Dünenträume und Kamelzecken


Hier passiert soviel in so kurzer Zeit, dass es schwer ist, alles wiederzugeben ... unsere zweite Nacht in der Wüste verbrachten wir an einem völlig anderen Platz als die erste. Nach der Nacht im Tal, eingerahmt von Bergen, schliefen wir gestern hoch oben auf einer Düne. Unsere kleine Karawane zog nach dem Lunch gestern in dieses riesige Wadi, wo die Beduinen das Lager am Fuße einer saharagelben Sanddüne aufbauten. Nach vorne war das Wadi weit und offen, endete nach hinten aber in einer Art "Bucht", wo die große Düne an einen Sandsteinfelsen anschloss. Auf einem schmalen Felsvorsprung, sozusagen unserer "Terrasse" zur Düne, hatten Eva und ich unser Schlafgemach gerichtet.

(Links seht ihr den Blick von unserem Schlafplatz nach unten, oben einen Teil unserer gemütlichen "Schlafnische").

Ein wunderbarer Ort mit einer tollen Atmosphäre, die nur durch die massenhaft auftretenden Kamelzecken (Hyalomna dromedarii) leicht getrübt wurde. Jedoch haben wir uns entschlossen, diese zukünftig zu ignorieren, in der Hoffnung, dass die Zecken es uns mit einer vergleichbaren Reaktion danken und harren der Dinge, die da kommen ... Farag konnte unsere Aufregung angesichts der Zeckenplage (die Viecher sind immerhin so groß wie mein Fingernagel und ich hatte vorher gelesen, dass mit Ihnen nicht zu spaßen sei, da sie das sogenannte "Krim-Kongo-Fieber" übertragen können) sowieso nicht wirklich nachvollziehen. Leicht schmunzelnd antwortete er auf unsere Frage, ob diese Kamelzecken gefährlich wären: »Only if you are a camel. ARE you a camel ..?«

Während unseres Abendessens hat uns Farag dann Beduinengeschichten erzählt, die irgendwie stets von Kamelen, Tigern und Wölfen zu handeln scheinen. Und Datteln, natürlich. Es wird verhext, verzaubert, gestorben, wie es in guten Geschichten so sein muss. Später haben wir unseren "Jungs" bei ihren Spielen zugesehen, die sie uns als typische Beduinenspiele ankündigten, die jedoch fast identisch mit den Spielen sind, die wir früher in der Grundschule auf dem Schulhof gespielt haben: Engelchen und Teufelchen (hier 'Datteln und Bananen'), wer hat Angst vor'm schwarzen Mann (hier heißt's 'Wolfman'), usw. Niedlich ... wenn vier ausgewachsene und ein kleiner Beduine hoch oben auf einer Sanddüne Grundschulspiele veranstalten und sich dabei halb tot lachen und die Düne runterkugeln lassen, das ist schon witzig ..!




Nachts lagen Eva und ich in unseren Schlafsäcken, umgeben von Zecken- und Echsenspuren, und warten darauf, dass wir müde genug zum Einschlafen wurden, um uns keine Sorgen mehr zu machen. Der Mond wird jeden Tag voller und schien extrem hell, wir quatschten und quatschten und irgendwann ließen wir die Zecken Zecken sein und schliefen ein. Heute morgen weckte uns wieder ein beeindruckender Sonnenaufgang, gleich gegenüber unserer "Betten", wir waren unversehrt, ohne unerwünschten "Anhang" und kein Tierchen hatte sich in unsere Schlafsäcke verirrt.


(Auf dem rechten Foto seht ihr die wirklich seltsam anmutenden Zecken- und Käferspuren. Wirken wie in den Sand gedrückte Reißverschlüsse, lustiges Muster, oder?)

Nach einem weiteren reichhaltigen Frühstück mit viel frischem Obst und leckerem, von den Beduinen im Feuer gebackenem Brot, ging es dann hoch zu Kamel weiter, zu einem Platz namens "Bir Biriya" (oder so ähnlich), einem Brunnen mitten in der Wüste, an dem wir uns dann endlich auch waschen können ... Freu!!

Coloured Canyon


Nach unserem ersten Frühstück in der Wüste zogen wir heute zunächst ohne die Kamele los in Richtung Coloured Canyon. Von unserem Nachtlagerplatz aus, der ja in einem Tal lag, gab es zunächst einen sehr steilen und anstrengenden Aufstieg ... hoch und höher hinauf, über Geröll, das ständig seine Farbe wechselt, über unterschiedlichstes Gestein, von Granit über Sandstein, von Schiefer und Porphyr zu vulkanischem Gestein ... vieles kann ich nicht einmal einordnen, ich weiß nur, dass hinter jeder Ecke eine neue Farbe auf uns wartet, es ist wirklich alles andere als "öde und wüst" in dieser Wüste Sinai!



Immer wieder bin ich erstaunt, wo sich auf einmal Wege vor uns auftun, mit welcher Zielsicherheit Farag sich durch diese Berge und Täler, durch Wadis und Canyons bewegt, die für mich wie ein Labyrinth, für ihn jedoch ganz offensichtlich sein Zuhause sind. Schon auf dem Weg zum berühmten 'Coloured Canyon' gab es viel zu sehen. Die unterschiedlichen Gesteinsarten im Sinai bewirken, dass man alle paar Meter über anderen Untergrund läuft. Selten ist der Sand wirklich einfach nur Sand, im Sinne von Quarzsand. Häufig ist es reiner Pudersand und der ist wirklich ein Phänomen: mal rosa, mal hellblau, fliederfarben, grau, dann wieder gelb, orange oder sogar weiß.

Alle vorstellbaren Pastellfarben sind hier zu finden, als liefe man durch bunten Bastelsand, den jemand aus reinem Spaß an der Freude zu Wegen aufgeschüttet hat, damit sich Wüstenwanderer wie wir daran erfreuen können ... Schon hinter der nächsten Biegung kann dann wieder alles ganz anders aussehen, da ist der Sand gepflastert mit runden, fast glasklaren Kieseln und Alabaster. Oder dicht an dicht mit bunten Steinen wie in einem Mosaikornament belegt. Es gibt Strecken, da hört es sich an, als liefe man über herabgefallene Dachziegel, tönern und hohl klingen diese länglichen, flachen Schiefersteine, die wie von Menschenhand ausgelegt wirken. Läuft man durch bestimmte Wadis (trockene Flußbetten), findet man zahlreiche Versteinerungen und sogar Muscheln. Fast weiß man nicht, wo man zuerst hinschauen soll, welcher Sinneseindruck der intensivste ist. Ich könnte mich stundenlang auf der Stelle im Kreis drehen und würde dennoch immer Neues entdecken! Wüste ..? Wow..!



Am späten Vormittag und in gleißender Hitze erreichen wir dann den Coloured Canyon, der uns nach den vielen beeindruckenden Landschaften unterwegs nicht mehr ganz so spektakulär vorkommt, wie er den mit Jeeps unmittelbar aus ihren Hotels angekarrten Strand- und Pool-Touristen erscheinen muss, die in Bikinis und Flip-Flops – z.T. wirklich fast unbekleidet – diesen Wüstencanyon durchwandern. Ein etwas surrealer Anblick, um es halbwegs diskret zu umschreiben.




Schön ist es hier trotzdem. Über die Jahrtausende hat die Erosion Sandsteinschichten in den unterschiedlichsten Rot-, Rosa- und Orangetönen freigelegt und beinahe expressionistische Gemälde und bizarre Muster, Formen und Strukturen hineingezeichnet und gemeißelt, die aufgrund der Mittagssonne momentan leider nur im Schatten der Schlucht wirklich zur Geltung kommen.

Wir laufen, klettern und kriechen durch die oft nur schulterbreiten Pfade aus feinem, bunten Pudersand, unter und über herabgefallene Felsbrocken hinweg, die zwischendurch immer wieder einmal den Weg versperren und bei den Touristen z.T. für Aufregung und Belustigung sorgen, besonders wenn wieder jemand "stecken bleibt" und unter Biegen und Brechen gedrückt und gezogen wird, um das Zuviel an Körpermmasse irgendwie über das Hindernis zu bugsieren ... sehr amüsant!


Vom Coloured Canyon aus geht es weiter über langgestreckte Hammadas (Stein-/Felswüste), weite Regs (Kieswüste) und einige wenige Ergs (Dünen) ... nee, was bin ich doch 'n oller Klugscheißer ... Insgesamt legen wir wieder gute 700 Höhenmeter zurück und als wir gegen späten Mittag an unserem neuen Lager ankommen, wo Beduinen und Kamele schon auf uns warten, sind wir von der Hitze und der Anstrengung total geschafft. Alle freuen sich auf das Mittagessen, die wohlverdiente Rast und besonders auf den kühlen Schatten unter dem Felsvorsprung ...

Hurra, wir leben noch!

Wochenlang hat sie mich beschäftigt – was habe ich mir nicht alles an Möglichkeiten zurechtgesponnen – und nun habe ich sie hinter mir: Die erste Nacht unter freiem Wüstenhimmel!

Tja, was soll ich Euch sagen: ich lebe noch! (»war ja auch nicht anders zu erwarten ...«, werden einige von Euch gedanklich anmerken – jaja, ich weiß!)

Es ist natürlich keine meiner schlimmen Visionen eingetroffen. Weder hatte ich nächtlichen Besuch von Schlangen oder Skorpionen, noch bin ich erfroren. Was nicht heißt, dass ich nicht trotzdem erst einmal die volle Paranoia gefahren hätte: ... ein Geräusch ... Taschenlampe an ... alles ableuchten ... ein Käfer ... wohin läuft der? ... weg! ... Taschenlampe aus ... es raschelt ... Taschenlampe an ... aus ... usw. Irgendwann war die neben mir liegende Eva kurz davor mich zu erschlagen und ich habe mich einfach nicht mehr getraut, noch mehr Unruhe zu verbreiten. Aber geschlafen habe ich in dieser ersten Nacht trotzdem nicht viel, alles war einfach zu ungewohnt!

Ich will damit nicht sagen, dass es nicht schön war, ganz im Gegenteil, es war mehr als schön. Nur eben ganz anders als ich dachte – im Positiven als auch im Negativen. Die gute Nachricht kennt Ihr ja nun schon, kein böses Tier hat mich aufgefressen. Dafür war der Sternenenhimmel, von dem man mir soooo viel erzählt hatte, schon ein bisserl enttäuschend. Er war praktisch überhaupt nicht vorhanden, der Mond schien einfach zu hell. Wolfgang hat ganze 26 Sterne gezählt, das ist definitiv nicht genug um darüber einzuschlafen, oder? Es war, als hätte jemand vergessen, das große Licht auszuschalten. Eva hat ein ganzes Kapitel aus ihrem Buch im Mondlicht gelesen, und sie lief ganz gewiss keine Gefahr, sich die Augen zu verderben. Eine Schlafbrille, wie sie die VIPs in der First Class bekommen, wäre nicht schlecht gewesen. Also, es war wirklich sehr hell ... aber auch das war wunderschön. Die Felsen, die Kamele, die Wüste im kühlen Mondlicht. Alles wirkte so "heimelig" und friedlich. Die Stille war schier unbeschreiblich und wurde durch die wenigen Geräusche, die sie hin und wieder unterbrachen, eher noch unterstrichen als gestört. Schilf und Pampasgras wiegten sich leise im Wind und ab und zu hörte man eine Zikade oder das Wiederkäuen der Kamele ... und dann wieder: absolute Stille. Wenn ich zwischendurch doch einmal einschlief, war ich bei jedem Aufwachen komplett orientierungslos und musste mich erst wieder daran erinnern, dass ich im Freien lag, mitten in der Wüste. Es war schon sehr seltsam.
Heute morgen wurde ich wach, noch bevor die Sonne richtig aufging. Wir hatten uns extra so gelegt, dass wir nur die Augen öffnen brauchten, um den Sonnenaufgang zu beobachten und es sah wunderschön aus, wie die Felsen und das ganze Tal nach und nach in goldenes Licht getaucht wurden. Was nicht ganz so schön aussah, war mein verquollenes, von akutem Schlafmangel gezeichnetes Gesicht. Ich bekam kaum die Augen auf, so geschwollen waren meine Lider. Dementsprechend war ich wenig begeistert, als ich Maria 'umherschleichen' und unser erstes Aufwachen unter freiem Himmel dokumentieren sah ... aber das gehört wohl dazu, unsere Lieben zuhause wollen ja schließlich auch was zu sehen bekommen ..!





Nach dem Frühstück geht es heute weiter zum Coloured Canyon – ich halte Euch auf dem Laufenden! Jetzt muss ich erstmal Katzenwäsche machen ...

Die Wüste ruft ...

Heute war unser letzter Tag im Camp Alexandria Beach. Wir saßen in der Stille, frühstückten gemeinsam und verabschiedeten uns von unseren sudanesischen Gastgebern. Es hieß, das ohnehin schon spärliche Gepäck noch einmal reduzieren und alles im Camp lassen, was in der Wüste nicht unbedingt notwendig wäre. Kaum war alles gepackt, kam auch schon der Jeep von Anis, der das Kameltrekking organisiert hat und uns nun zu "unseren" Beduinen bringen würde. Alles wurde aufs Dach des Toyota geladen und wir kletterten hinten hinein. Es war nur eine kurze Fahrt bis an die Stelle etwas oberhalb von Nuweiba, wo die Wüste bis fast ans Meer reicht und wir starten sollten ...

Schon von weitem sahen wir die Kamele und die Beduinen, die bereits das von ihnen mitgebrachte Gepäck – Wasser, Gemüse, Teppiche, Töpfe, usw. – fest an den Kamelen verschnürten. Ich muss gestehen, die Situation erschien mir sehr irreal, obwohl ich ganz ruhig und voller Vorfreude war, meine Nervosität in Bezug auf die Wüste hatte sich längst gelegt. Unser Gepäck wurde vom Jeep geladen und ebenfalls auf die Kamele gepackt, während wir unsere Tücher umbanden, die uns zum einen vor der Sonne schützen sollen, bei uns Frauen aber auch dazu dienen, das Zusammensein mit den Beduinen zu vereinfachen, bei denen es nicht üblich ist, dass Frauen die Haare offen tragen.

Bevor ich mich versah, saß ich dann auch schon auf meinem Kamel. Alles war ganz einfach: linkes Knie zwischen Hals und Höcker des Kamels und mit viel Schwung das rechte Bein über den Sattel werfen. Anschließend den linken Fuß unter das rechte Bein klemmen, gut festhalten und nach hinten lehnen (das Kamel steht ja zuerst mit den Hinterbeinen auf) und schon ist man in luftigen Höhen. Dann heißt es die Leine gut am Sattel befestigen, denn wenn man einmal loslässt, hat man keine Chance mehr, selber wieder dran zu kommen, der Kopf des Kamels ist einfach zu weit weg ... und los gehts! Wow, das war echt super! Da saß ich also hoch oben auf meinem Kamel, fühlte mich wie die Königin von Saba und ritt elegant und furchtlos mitten in die Wüste hinein.



Unsere kleine Karawane (wir sechs, also Maria, Hans-Jürgen, Bernd, Wolfgang, Eva und ich, unsere sechs Kamele und viereinhalb Beduinen – Ahmet, der mir "zugeteilte", war noch ein Kind) bewegte sich eine gute Stunde vorwärts, dann kam der erste Gebirgszug, den es zu überwinden gab und den wir nicht auf den Kamelen überqueren konnten.
Farag, unser beduinischer Führer, ging mit uns zu Fuß, während die restlichen Beduinen mit den Kamelen einen anderen Weg nahmen, um schon das Lager vorzubereiten, in dem wir später unsere Mittagsrast halten würden. Wir zogen also unsere Bergschuhe an und folgten Farag zunächst in eine Schlucht, wo es eine kleine Steilwand an einem Seil zu erklimmen gab, um weiter zu kommen. Die nächste Felsstufe wurde mittels einer seltsamen, wackligen Metalleiter überwunden, deren untere Füße in den Boden gerammt waren.


Höher und höher ging es, bis wir dann unsere erste Etappe erreicht hatten, unser Lager auf knapp 700 m ü.NN, wo Kamele und Beduinen bereits auf uns warteten. Inzwischen war es ziemlich heiß geworden und wir campierten im Schatten einer Felsschlucht. Die Beduinen hatten einen köstlichen Lunch zubereitet, wir aßen und rasteten, während sie selber ein kurzes Nickerchen machten. Nach dem Mittagessen ging es dann zu Fuß weiter.

Während die Kamele und einige der Beduinen schon zu unserem ersten Nachtlager vorritten, durchwanderten wir die Berge und mehrere kleine Oasen. Eine Oase fiel besonders ins Auge – Moyat El-Wishwashi – dort bildeten die Palmen einen regelrechten kleinen Dschungel, den wir geduckt durchkrochen. Es war sehr feucht, überall kam Salpeter aus dem Boden, die harten Palmblätter und langes, spitzes Gras zerstochen und zerkratzen uns die Haut und überall wimmelte es von Springspinnen. Augen zu und durch! Ich war jedenfalls froh, als wir am anderen Ende ankamen und an einer Lichtung eine kurze Pause machten.

Der Anblick war wunderschön, zartrosa und apricotfarbene Berge, davor die grünen Palmen und Feigenbäume und dahinter der blaue Himmel. Farag erklärte uns, dass es sich um einen magischen Ort handele. Angeblich gibt es dort einen Zauber, so glauben die Beduinen: Man kann zwar an diesem Ort schlafen und sich dort mit den reichlich wachsenden Datteln versorgen, darf jedoch immer nur soviele nehmen, wie man eben zum satt werden braucht. Trägt man zuviele Datteln weg oder bereichert sich daran, versucht sie zu verkaufen oder ähnliches, geschieht einem ein Unglück, wie z.B. dass ein Sohn oder ein Kamel stirbt, man selber krank wird, usw. Trotz allem empfand ich diesen Ort als sehr friedlich und angenehm, Zauber hin oder her.
Farag erklärte uns auch noch viel zu den vorhandenen Kräutern und Pflanzen, wie die Beduinen sie einsetzen, als Medizin oder für Teezubereitungen, was – zumindest für mich und Hans-Jürgen – sehr interessant war, und dann ging es weiter.

Eine letzte Hochebene musste erklommen werden und wir schnauften und ächzten, als wir endlich oben waren, wurden aber durch den Anblick mehr als entschädigt: Auf der anderen Seite lag ein weites Tal, in einem Canyon, eng an den Fels geschmiegt, eine wunderschöne große Oase mit Palmen, Tümpeln und viel Schilf, eingerahmt von einer Bergkette. Unser erstes Nachtlager ... wunderschön! Und da sitze ich nun, auf meinem Schlafsack, an einen kleinen Felsen gelehnt, schaue auf die Berge im letzten Sonnenlicht, betrachte mein Kamel, wie es an einer Akazie frisst und harre der Dinge die da kommen – meine erste Nacht unter freiem Himmel! Gleich gibt es eine kurze Meditation, dann Abendessen und irgendwann wird es dann ernst und ich muss schlafen gehen ... in der Wüste ... endlich! Wirklich ..?


Zu Gast bei einer Beduinenfamilie

Auf der Rückfahrt vom Kloster wurden wir von unserem beduinischen Fahrer zu einem Tee bei seiner Familie eingeladen, das war schon ein Erlebnis ..! Die Familie wohnte zwar in einem richtigen, festen Haus (nicht in einem Zelt – das war einmal!), wie wohl die meisten Beduinenstämme heutzutage, jedoch konnte man es nicht mit dem vergleichen, was wir in Deutschland unter einem Wohnhaus verstehen würden. Die Wände bestanden aus rohen, unverputzten Mauersteinen, es war extrem dunkel im Haus, durch die kleinen Fenster kam kaum Licht in den Raum (deshalb die unscharfen Bilder – wir wollten nicht unhöflich überall herumblitzen) und auch einen festen Fußboden gab es nicht, das Haus war sozusagen "auf Sand gebaut", mit Teppichen als Bodenbelag und zugleich Sofaersatz. Auf den hölzernen Deckenbalken lagen anstelle von Dachziegeln oder Platten einfache Palmwedel ... was aber vorteilhaft war, denn das Lagerfeuer, auf dem gerade gekocht und gebacken wurde (und das gut einen Quadratmeter Fläche einnahm), befand sich mitten im Hauptwohnraum. Die Rauchbildung war enorm, trotz der "offenen Decke" – mir tränten sofort die Augen und der Hals begann zu kratzen. Es dauerte etwas, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Rund um das Feuer lagen die Teppiche und Sitzkissen, auf denen gesessen und gegessen wurde. Es wimmelte von Kindern in allen Altersklassen und mittendrin liefen die Ziegen umher, die hin und wieder versuchten, sich etwas von dem frisch gebackenen Brot zu stibitzen, woraufhin sie jedes Mal halbherzig verscheucht wurden, nur um es kurz darauf wieder zu versuchen.




Für die Kinder waren wir offenbar eine ziemliche Attraktion und binnen kürzester Zeit saßen sie alle ganz brav, aber sehr neugierig, um uns herum wie die Orgelpfeifen. So exotisch und gewöhnungsbedürftig dieses "Ambiente" auch war, so natürlich und vertraut war das Verhalten der Kinder. Nicht anders als Kinder in aller Welt waren sie zunächst etwas verlegen, bis der mutigste unter ihnen den Anfang machte und zaghaft Kontakt zu uns aufnahm. Schüchtern begann Mohammed, uns seine Schreibkenntnisse zu präsentieren. Nacheinander nannte er uns die Namen seiner Geschwister und schrieb deren Namen in den Sand, was bei den anderen für amüsiertes Gekicher sorgte. Nach und nach tauten auch die anderen Kinder auf und begannen ganz süß auf arabisch zu erzählen, während die Mutter (die sich übrigens nur für die Fotos den Schleier vor's Gesicht legte) freundlich aber ungerührt weiter ihr Fladenbrot backte, als hätte sie täglich solch "seltsamen" Besuch aus Deutschland. Gebacken wurde auf einer Art umgekehrt liegendem Wok. Der Teig aus Salz, Weizenmehl und Wasser wurde geknetet, zu Kugeln gerollt, flach geschlagen und auf dem heißen Topfboden in wenigen Minuten fertig gebacken. Das Brot wurde zunächst wie Pfannkuchen auf einem Teller gestapelt und nach dem Abkühlen frisch serviert. Außer der Mutter, den Kindern und den Ziegen waren noch ein sehr alter Mann – von dem es hieß, er sei ein berühmter Heiler – sowie ein jüngerer Mann, der offenbar der Vater der Kinder war, anwesend. Obwohl uns das in diesem Moment nicht bewusst war, war es wohl eher ungewöhnlich, dass wir eine solche häusliche Situation, miterleben durften, denn normalerweise ist es westlichen Besuchern nicht "vergönnt", das Miteinander von Frau und Mann, diese intimeren Familiensituationen, zu Gesicht zu bekommen. Sonst bleiben die Beduinenfrauen eher unter sich und Besucher haben fast nur Kontakt zu den Männern. Dass sie sich in unserer Gegenwart neckten und sogar gewisse Körperkontakte austauschten, bedeutete wohl einen großen Vertrauensbeweis, fast schon eine Ehre, wie Maria uns später erklärte, die wir wohl der Tatsache zu verdanken hatten, dass wir als Freunde eines Familienmitglieds und nicht als Touristen betrachtet wurden.

Die Familie gehörte zum Stamm der Muzeina, in dem es durch Inzucht, (arabisch: bint 'amm = Tochter des Vaterbruders) eine sehr hohe Anzahl gehörloser Menschen gibt. Jedoch zeichnen sich die Muzeina dadurch aus, dass sie ein unheimlich gutes soziales Gefüge haben und diese Gehörlosen nicht außen vor gelassen, sondern voll ins alltägliche Familienleben integriert werden. Sie haben eine eigene Gebärdensprache entwickelt, mittels derer sie kommunizieren, und viele lernen sogar trotz ihrer Gehörlosigkeit sprechen. Es war rührend, mitanzusehen, wie die größeren Kinder sich liebevoll mit den kleineren beschäftigten, wie der alte Mann und der allerkleinste Sohn zärtlich miteinander spielten und überhaupt alle Personen sehr fürsorglich und respektvoll miteinander umgingen. Es herrschte eine sehr innige und friedliche Atmosphäre, die in keinster Weise den Klischees entsprach, die wir häufig vom Alltag arabischer Familien haben. Auch wir wurden respektvoll und herzlich aufgenommen, und es war trotz der – für unsere Verhältnisse – mehr als schlichten äußeren Umstände ein Erlebnis, das sicher keiner von uns missen wollte. Trotz aller Sprachbarrieren entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch und besonders die Kinder hatten es – zumindest uns Frauen – angetan. Ein sehr hübsches Mädchen von vielleicht 10 oder 11 Jahren, das offenbar auch taub war, schaute uns die ganze Zeit voller Ehrfurcht an und nahm immer wieder unsere Hände. Als es Zeit für den Aufbruch war, wollte sie uns gar nicht mehr loslassen und fing an zu weinen. Immer wieder legte sie unsere Hände auf ihr Herz, lächelte uns unter Tränen an, sagte ihren und unsere Namen und umarmte uns am Auto sogar ganz fest. Eva und mir kamen auch schon die Tränen und vor lauter Winken fielen uns beinahe Hände und Arme ab. Die Kinder liefen winkend neben dem Auto her, solange sie konnten und dann war es vorbei.

Ein ereignisreicher Tag, voller neuer Eindrücke und Denkanstöße, was sicher nicht nur ich so empfunden habe – beim Abendessen waren wir heute auf jeden Fall alle extrem ruhig und gedankenverloren. Alles kommt mir gleichzeitig real und unwirklich vor ... ich glaube, ich muss das jetzt alles erst einmal richtig verarbeiten!